Verfolger, Opfer und Retter: Das Dramadreieck nach Karpman

Das Dramadreieck, entwickelt vom Psychologen Dr. Stephen Karpman, beschreibt ein weit verbreitetes Muster, das Menschen in Konfliktsituationen oder emotional aufgeladenen Gesprächen häufig einnehmen. Das Modell hilft uns, die Dynamiken in solchen Konflikten zu verstehen und Wege zu finden, gesunde Kommunikation zu fördern. Besonders in der systemischen Arbeit, beispielsweise im Familienstellen, ist es ein wertvolles Werkzeug, um unbewusste Rollen und Muster aufzudecken und aufzulösen.

Was ist das Dramadreieck?

Das Dramadreieck besteht aus drei Rollen, die Menschen in Konfliktsituationen unbewusst einnehmen:

  1. Der/die Verfolger:in – kritisiert oder greift an, gibt oft den anderen die Schuld und sucht nach Schuldigen.
  2. Das Opfer – fühlt sich unterlegen oder hilflos, sucht nach Unterstützung, wird aber häufig passiv und beklagt sich.
  3. Der/die Retter:in – versucht zu helfen, oft ungefragt, und fühlt sich verantwortlich, die Probleme anderer zu lösen.

Diese Rollen können dynamisch sein und wechseln; eine Person kann im Verlauf einer Situation verschiedene Rollen einnehmen, was das Dramadreieck oft so komplex und emotional aufgeladen macht. Doch warum passiert das? Karpman erklärt, dass Menschen durch die Übernahme dieser Rollen oft unbewusste Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit, Anerkennung oder Kontrolle befriedigen.

Die Rollen im Detail

  1. Der/die Verfolger:in
    Diese Rolle wird meist durch kritisches oder aggressives Verhalten charakterisiert. Der Verfolger übt Druck aus, weist Schuld zu und möchte kontrollieren. Oft steckt hinter dieser Haltung ein Bedürfnis nach Sicherheit oder ein unbewusstes Gefühl der Verletzlichkeit. Ein:e Verfolger:in fühlt sich häufig selbst angegriffen oder im Recht und schützt sich durch Vorwürfe. Die Botschaft lautet oft: „Du bist schuld!“
  2. Das Opfer
    Das Opfer im Dramadreieck fühlt sich machtlos und sucht jemanden, der ihm hilft oder Verständnis zeigt. Diese Rolle ist passiv und klagt über die eigene Hilflosigkeit. Auch hier steht oft ein tieferes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Unterstützung im Vordergrund. Die Rolle des Opfers ermöglicht es, Verantwortung abzugeben und auf die Hilfe anderer zu hoffen. Die innere Botschaft lautet häufig: „Ich kann nichts tun – helft mir!“
  3. Der/die Retter:in
    Der Retter oder die Retterin springt sofort ein, um das „Opfer“ zu unterstützen, oft ohne gefragt zu werden. Diese Rolle verleiht einem das Gefühl, gebraucht zu werden und gibt ein Gefühl von Kontrolle. Häufig vermeiden Retter:innen durch die Hilfe für andere, sich mit den eigenen Problemen auseinanderzusetzen. Die Haltung ist: „Ich weiß, was das Beste für dich ist.“

Das Problem am Dramadreieck

Das Dramadreieck führt häufig zu wiederkehrenden Konflikten und Missverständnissen. Die Beteiligten fühlen sich unverstanden, überfordert oder werden in ihrer Rolle gefangen. Die Beziehung wird durch die ungesunden Rollenverteilungen belastet, und keiner der Beteiligten kann wirklich gewinnen. Oft endet das Muster, wenn ein „Opfer“ irgendwann die Geduld verliert und selbst zum „Verfolger“ wird, während der bisherige „Retter“ das Interesse verliert oder selbst zum „Opfer“ wird.

Wie man aus dem Dramadreieck ausbricht

  1. Bewusstwerdung
    Der erste Schritt, um das Dramadreieck zu verlassen, ist, sich der eigenen Rolle und der Rollen der anderen bewusst zu werden. Frage dich selbst: „In welcher Rolle befinde ich mich gerade?“ und „Welche Bedürfnisse oder Ängste motivieren mein Verhalten?“
  2. Verantwortung übernehmen
    Jedes Verhalten im Dramadreieck basiert auf der Abgabe oder Übernahme von Verantwortung, oft in übertriebenem Maße. Lerne, für deine eigenen Bedürfnisse und Gefühle Verantwortung zu übernehmen, ohne von anderen zu erwarten, dass sie sie für dich erfüllen oder sich ändern.
  3. Grenzen setzen und respektieren
    Besonders als „Retter:in“ ist es wichtig zu lernen, Grenzen zu setzen und andere für ihre eigenen Probleme verantwortlich zu lassen. Frage dich, ob deine Unterstützung wirklich gewünscht ist oder ob du in eine Rolle rutschst, um dich selbst gut zu fühlen.
  4. Empathische Kommunikation
    Übe dich in klarer, empathischer Kommunikation. Statt die Schuld zuzuweisen oder die Rolle des Opfers anzunehmen, versuche deine Bedürfnisse und Wünsche direkt auszudrücken. Ein hilfreicher Ansatz ist hier die gewaltfreie Kommunikation, die es ermöglicht, ohne Angriffe zu kommunizieren und Verantwortung zu übernehmen.
  5. Neue Rollen im „Gewinnerdreieck“ einnehmen
    Anstelle des Dramadreiecks kannst du versuchen, konstruktivere Rollen einzunehmen, die oft als „Gewinnerdreieck“ bezeichnet werden:
  • Coach: statt „Retter“ – Unterstütze andere in ihrer Selbstständigkeit, ohne Verantwortung für sie zu übernehmen.
  • Herausforderer statt „Verfolger“ – Äußere deine Bedürfnisse und setze klare Grenzen, ohne andere anzugreifen.
  • Schöpfer statt „Opfer“ – Übernimm Verantwortung für deine Gefühle und Entscheidungen, um mehr Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Fazit: Neue Wege für Beziehungen im Beruf und im Privaten

Das Dramadreieck nach Karpman bietet einen wertvollen Einblick in ungesunde Kommunikationsmuster, die in stressreichen Situationen oder Konflikten häufig auftreten. Indem wir uns unserer Rolle bewusst werden und unsere Bedürfnisse erkennen, können wir den Weg zu gesünderen, authentischeren Beziehungen ebnen – sei es im beruflichen Umfeld, in der Familie oder in der Partnerschaft. Durch das Verlassen des Dramadreiecks lernen wir, Verantwortung für unsere eigenen Gefühle zu übernehmen und die Bedürfnisse anderer respektvoll wahrzunehmen – ein wichtiger Schritt hin zu mehr Freiheit und echten Verbindungen.

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