Für viele Menschen ist es eine fast unsichtbare Angewohnheit: das unaufhörliche Streben danach, anderen zu gefallen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen und dafür Anerkennung zu bekommen. Dieses Verhalten wird oft als „Helfersyndrom“, „Co-Abhängigkeit“ oder die Rolle der „überangepassten Persönlichkeit“ beschrieben. Der Wunsch, anderen zu gefallen, entspringt dabei einer tiefen Sehnsucht nach Akzeptanz und Wertschätzung. Die Freude und Anerkennung, die man dabei erfährt, fühlt sich zunächst erfüllend an – doch auf Dauer kann dieses Verhalten zur Last werden und den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen verschleiern.
Doch warum haben wir oft das Bedürfnis haben, uns über die Anerkennung anderer zu definieren? Das Verhalten, immer für das Wohl anderer zu sorgen und dadurch eigene Anerkennung zu finden, wird in der Psychologie auch als Retter-Rolle im sogenannten Dramadreieck nach Stephen Karpman beschrieben. Menschen, die sich in dieser Rolle wiederfinden, stellen ihre eigenen Bedürfnisse immer zurück und geben ihre Energie oft in Beziehungen oder Situationen, die ihnen das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Dahinter steht meist die Angst, nicht gesehen oder geliebt zu werden, wenn man die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt.
Wenn das eigene Wohlbefinden zunehmend an die Reaktionen und das Glück anderer geknüpft ist, kann das zu einem Problem werden:
- Verlust des Selbstwertes: Da das Selbstwertgefühl in der Anerkennung durch andere verankert ist, kann man sich unsicher und sogar leer fühlen, sobald keine Bestätigung von außen kommt.
- Ignorieren eigener Bedürfnisse: Die Aufmerksamkeit liegt so sehr auf dem Glück der anderen, dass die eigenen Wünsche in den Hintergrund rücken. Man kann vergessen, was man selbst will oder was einen glücklich macht.
- Emotionaler Stress und Burnout: Die ständige Anstrengung, für das Wohl anderer zu sorgen, führt dazu, dass man sich erschöpft und belastet fühlt. Ein solches Verhalten kann langfristig zu Burnout und einem Gefühl der inneren Leere führen.
Um das Bedürfnis zu überwinden, sich immer über die anderen zu definieren, sind bewusste Schritte zur Selbstreflexion und zum Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls nötig.
- Selbstwahrnehmung stärken: Lerne, deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen. Frage dich: „Was brauche ich wirklich, um glücklich zu sein?“ Indem du das tust, wirst du nach und nach eine Verbindung zu deinem inneren Selbst aufbauen.
- Grenzen setzen lernen: Übe, auch mal „Nein“ zu sagen. Es kann befreiend sein, sich von der Erwartung zu lösen, anderen immer alles recht machen zu müssen. Ein klares „Nein“ zu den Erwartungen anderer ist oft ein „Ja“ zu sich selbst.
- Selbstbestätigung üben: Notiere regelmäßig deine Erfolge und Stärken, um das Selbstwertgefühl unabhängig von der Bestätigung anderer aufzubauen. Es geht darum, dich selbst als wertvoll zu erleben – ohne dass jemand das von außen betätigen muss.
- Das eigene Umfeld bewusster gestalten: Umgib dich mit Menschen, die dich als den Menschen schätzen, der du bist – ohne Erwartungen. Solche Beziehungen fördern das Gefühl, authentisch sein zu dürfen und nicht ständig gefallen zu müssen.
- Sich als wertvoll erleben, auch wenn es mal schwierig wird: Auch in Konfliktsituationen ist es wichtig, dass du dich als wertvoll betrachtest. Es ist okay, wenn man nicht immer alles richtig macht oder jeden glücklich stimmt – Menschen sind immer noch da und schätzen dich, auch wenn es mal „unbequem“ wird.
Das Streben nach Anerkennung und das Gefühl, anderen gefallen zu müssen, ist tief in vielen Menschen verankert. Doch langfristig kann es zu einem Gefühl der inneren Leere und des Mangels führen. Es ist möglich, sich wertvoll und geliebt zu fühlen, ohne immer die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen. Indem man die eigenen Bedürfnisse wieder mehr in den Vordergrund stellt und lernt, die Balance zwischen Geben und Nehmen zu halten, können gesunde Beziehungen geführt und ein erfülltes Leben gelebt werden – unabhängig davon, was andere denken.